Im letzten Blogbeitrag haben wir uns das Anfassen und Tasten als Grundlage für das Lernen im Kleinkindalter angesehen. Wenn ein Kind das Greifen und Betasten beherrscht, ist es von sich aus bestrebt, diese Fähigkeit immer weiter auszubauen: Die Feinmotorik entwickelt sich.
Diese ist tatsächlich bedeutsamer als allgemein angenommen. Während der ersten 3 Lebensjahre und bereits ab 15 Monaten setzt ein Kleinkind seine Hände als effektives Werkzeug ein, nämlich ab dem Zeitpunkt, wo es nicht mehr nur die Umwelt erforscht, sondern kleine Aufgaben verrichten möchte. In dieser wichtigen Phase passiert der Übergang vom Lernen zum Arbeiten.
Unsere kleine Anna zum Beispiel liebt die Übungen des praktischen Lebens. Im Montessori-Kindergarten hat sie die Möglichkeit, regelmäßig an den Rahmen mit Reißverschluss und mit Knöpfen zu üben. Dabei setzt sie die Finger sehr gezielt ein und erspürt genau, ob sie auf einem guten Weg ist.
Das feine Tasten ist nicht mehr nur Eigenzweck, sondern vermittelt ihr eine Information: Sie versteht durch ihren Tastsinn, ob sie den Knopf bereits geschlossen hat. Auch bei den Schüttübungen wird sie immer besser. Konzentriert führt sie die Hände und beobachtet dabei, was passiert. Bei Bedarf passt sie ihre Bewegungen an. Sie befindet sich in einer Informationsrückkopplungsschleife, die durch das Zusammenspiel ihres Tastsinnes, des barischen (Gewichts-)Sinnes, des Sehsinnes und ihrem Intellekt entsteht.
Die Sinne sind Kontaktpunkte mit der Umgebung, und der Verstand vervollkommnet sich im Gebraucht dieser Organe, indem er sich übt, die Umgebung zu beobachten […]. So kann der Verstand durch die Sonne immer genauere und verfeinerte Eindrücke sammeln.
Maria Montessori
Mit der Zeit werden Annas Bewegungen kontrollierter und genauer. Und je älter sie wird, desto spannender findet sie die Imagination, die aus dem Tasten und dem feinmotorischen Handeln entsteht.
Anna zählt gerne Perlenreihen ab – dadurch wird der Pinzettengriff zwischen Daumen und Zeigefinger geübt und das mathematische Verständnis trainiert. Das erste Mal vom Material auf abstrakte Fakten zu kommen, fällt ihr so ganz leicht. Später zeichnet sie geometrische Figuren nach, betastet und zählt die Kanten und setzt sie nach Länge oder Winkel ins Verhältnis. Landkartenpuzzles und Globen vermitteln ihr (auch haptisch) ein schönes Gefühl für ihre Lebenswelt und die Erde.
Die Königsdisziplin für die Feinmotorik ist wohl das Schreiben: Die meisten Erwachsenen können sich gut daran erinnern, wie schwierig es war, einen Stift sicher in der Hand zu halten und wohlgeformte Buchstaben damit zu Papier zu bringen.
PS: In Teil 3 unserer kleinen Reihe zum Begreifen geht es um die Auge-Hand-Koordination.
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