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Montessori Pädagogik

Schulung des Tastsinns – „BEGREIFEN“ Teil 1

26 Jan, 2022

Schulung des Tastsinns – „BEGREIFEN“ Teil 1

 

Das Anfassen von Materialien, das Tasten und Begreifen erst im wörtlichen, dann im übertragenen Sinn, ist in der Montessori-Pädagogik zentral. In drei Blogbeiträgen widmen wir uns eingehend diesem Thema und folgen dabei der Entwicklung des Kindes: vom ersten Herantasten an die Umwelt bis zum feinmotorischen Zusammenarbeiten von Auge und Hand.

Maria Montessori sieht den Geist und die Hand als untrennbare Einheit, deren Entwicklung vom ersten Moment an eng gekoppelt ist. Sie sagt:

Gib dem Geist nie mehr als du der Hand gibst.

Die Hand ist unser bestes Werkzeug, unser Tor zum Verstehen der Welt. Durch Anfassen, Herumdrehen und Ertasten von Gegenständen erschließen sich kleine Kinder große Teile ihrer Umgebung. Aus sich heraus fassen sie nach Gegenständen, um diese zu erforschen – das Phänomen des sogenannten absorbierenden Geist, das besonders in den ersten drei Lebensjahren zu beobachten ist.

Dies macht sich die Montessori-Pädagogik zunutze, die der Hand als Erziehungswerkzeug immense Bedeutung zumisst und damit schon beim Kleinkind ansetzt: Bei jedem Gegenstand, den wir Säuglingen und kleinen Kindern geben, sollten wir im Hinterkopf behalten, welchen Zweck dieser erfüllen kann. Lernt das Kind hiermit eine neue geometrische Form kennen oder ein neues Material? Ist es ein neues haptisches Erlebnis? Erlangt das Kind dadurch einen Begriff von Zahlendimensionen, etwa durch eine Reihe von ähnlichen Dingen?

Wenn wir als Eltern, Erzieher oder Bezugspersonen einem Kind Sachen in die Hand geben, sollten wir immer bedenken, dass ganz grundlegende Erfahrungen vorangehen und die Wahrnehmung erst später spezifischer wird. Vom Simpelsten gehen wir voran zu schwierigeren Themen.

Um es etwas anschaulicher zu beschreiben: Die kleine Anna zeigt großes Interesse an allen runden Gegenständen und betastet diese gerne. Ihre Eltern geben ihr Bälle und Kugeln jeder Art, allerdings immer einzeln, bis Anna mit der Kugelform vertraut ist. Erst viele Wochen später findet Anna Gefallen an Kugelreihen oder Bälle, deren Größe sie vergleichen kann. Jetzt ist sie soweit, sich auf die Gesamtheit der Gegenstände zu konzentrieren, möchte nicht nur jeden Ball für sich, sondern alle nebeneinander betrachten. Ihre Eltern bemerken zum Beispiel, dass sie Freude daran hat, verschieden schwere Bälle in die Hand zu nehmen.

Gleichzeitig mit diesem Spielen hört Ina immer wieder das Wort „Ball“. Sie bringt es bald in Zusammenhang mit der ihr bereits vertrauten geometrischen Form. Kleine Aufgaben wie „Bring mir den Ball“ oder „Leg den Ball in den Korb“ erledigt sie bald freudig. Das Wort „Ball“ ist eines der ersten, die sie selbst ausspricht, und sie hat eine kleine Sammlung an Kugeln, mit denen sie sich immer wieder gern beschäftigt.

Allein durch das Betasten kann Ina auf vier verschiedene Arten Vergleiche zwischen ihren Bällen anstellen: 1. Identifikation: Welche Kugeln sind gleich groß oder aus demselben Material? 2. Negation: Welche Bälle unterscheiden sich stark voneinander? 3. Seriation: Ina erstellt eine Reihenfolge von groß nach klein. 4. Kombination: Mehrere Merkmale wie zum Beispiel Größe und Gewicht der Kugeln werden untersucht.

Diese Beschäftigung mit den Eigenschaften von Gegenständen bleibt einige Jahre lang interessant für Kinder, wobei die Fähigkeit zur Abstraktion steigt und das Arbeiten immer bewusster stattfindet. Neben Größe und Gewicht können bald noch mehr Merkmale von Dingen allein durch Hinfühlen unterschieden und erforscht werden: die unterschiedliche Beschaffenheit der Oberflächen (zum Beispiel mithilfe von Tasttäfelchen oder Stoffkästen), die Temperatur (mit Wärmekrügen und Wärmeplatten) oder das Gewicht von Dingen (mit Gewichtsbrettchen).

Nach einem der wichtigsten Glaubenssätze der Montessori-Pädagogik unterstützt dieses bewusste Arbeiten mit dem Tastsinn Kinder dabei, ein geordnetes Weltbild zu erlangen und wirkt positiv auf die Entwicklung ihres Selbstbildes.

PS: Um die Feinmotorik geht es im nächsten Blogbeitrag.

 

                                                  Bildnachweis: Shutterstock/Minnikova Mariia Autorin: Veronika Weiss

Auge-Hand-Koordination