“Der größte Erfolg eines Lehrers ist es, sagen zu können,
dass seine Schüler arbeiten, als wäre er nicht da.”
Maria Montessori
Unterricht ohne Lehrer
Die Jasminklasse hat neues Lernmaterial zum Planetensystem bekommen. Peter, der Lehrer, zieht sich an seinen Arbeitstisch zurück. Die Schüler*innen packen vorsichtig die einzelnen Planeten aus. Mit Hilfe der Vorlage stellen sie die Planetenkonstellation nach. Sie benennen die einzelnen Himmelskörper und tauschen verschiedene Merksprüche für die Reihenfolge der Planeten aus. Julia schlägt vor: „Mein Vater erklärt mir jeden Samstag unsere neun Planeten“ (Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun, Pluto). Wie in einen Pool werfen alle Kinder ihr astrologisches Wissen zusammen und jeder lernt so eine Menge über die Planeten dazu. Als Peter nach einiger Zeit dazukommt, wird er von den neuen Erkenntnissen seiner Schüler*innen überschwemmt. Er lächelt in sich hinein. Manchmal kommen seine Schüler*innen wunderbar ohne ihn zurecht.
Peter sieht seine eigentliche Aufgabe darin, seine Schüler*innen in die Selbständigkeit zu führen. Er kennt die Klasse vom ersten Schultag an und weiß genau, welches Kind noch Unterstützung braucht. Und welche Kinder bereits selbständig arbeiten und zudem als Lernbegleiter*innen in der Klasse fungieren.
Die Montessori-Materialien
Die Montessoripädagogik ist eine ideale Methode auf dem Weg in die Selbständigkeit. Die Lernmaterialien stehen zur freien Auswahl im Regal und brauchen meist nicht viel Erklärung von Seiten des/der Lehrer/in. Sie sind selbsterklärend und enthalten fast immer eine Selbstkontrolle. So kann das Kind völlig eigenständig das Material aussuchen, mit ihm arbeiten und sich selbst verbessern. Anfangs eröffnet der/die Lehrer/in das Material durch eine kurze Darbietung und gibt es dann zur selbständigen Benützung durch die Kinder frei. Natürlich steht er/sie bei Rückfragen jederzeit zur Verfügung.
Freiarbeit statt Frontalunterricht
Auch der Verzicht auf Frontalunterricht und das Modell der Freiarbeit führt die Kinder mehr und mehr in die Selbständigkeit. Die Wissensvermittlung ist weniger abhängig von der Person des/der Lehrer/in, als vielmehr der eigenen Aktivität zuzuschreiben. Ein/e Montessori-Lehrer/in gibt seinen Schüler*innen den Raum, den sie auf dem Weg zur Selbständigkeit brauchen. Trotzdem ist er eine starke Ressource an Wissen und sozialer Integrität.
Die Große Arbeit
Ein weiteres Beispiel für Unabhängigkeit und Selbständigkeit ist die „Große Arbeit“ in der 9. Klasse. Die Schüler*innen dürfen die Themen völlig frei wählen und sie sind dabei unabhängig vom Lehrplan. So dürfen sich die Jugendlichen mit genau den Dingen beschäftigen, die sie brennend interessieren und können selbständig ihre Nachforschungen anstellen. Wieder gilt: Wo eine Hilfestellung erforderlich ist, stehen die Pädagog*innen jederzeit zur Verfügung.
Die „Große Arbeit“ bleibt aber in jedem Fall etwas Ureigenes. Die Entdeckung der eigenen Persönlichkeit und der Ressourcen, die in uns selbst verborgen liegen, ist in der Montessoripädagogik oberstes Ziel. Der/ie Lehrer/in begleitet die Kinder bei ihrer Entfaltung so lange es nötig ist. Dann tritt er/sie wieder in den Hintergrund. Das Präsentieren der „Großen Arbeit“ ist nicht nur für die Schüler*innen ein großer Augenblick. Auch ihr/e Lehrer/in sieht voller Stolz auf den jungen Menschen vor sich, der sich so frei und unabhängig entfaltet hat.
Autorin: Marie Laschitz Bildnachweis: Shutterstock/adriaticfoto