Gibt es einen größeren Meilenstein beim Lernen als das Lesen? Wenn ein Kind die Buchstaben lernt, erschließt sich ihm ein ganz neuer Teil der Umgebung. Es hat neuen Zugang zur Welt der Erwachsenen und gewinnt Selbstständigkeit und Orientierung. In diesem Blogbeitrag wollen wir uns ansehen, wie der Schriftspracherwerb nach Montessori schon im Kleinkindalter gut vorbereitet werden kann.
Bevor Kinder in der Schule Geschichten erzählen, lesen oder aufschreiben können, kann viel passieren. Denn nicht erst mit sechs Jahren beginnt die Beschäftigung mit Buchstaben und Schrift – die geheimnisvollen Zeichen begleiten Kinder schon von klein auf. Sie werden in eine Umwelt hineingeboren, die von Text auf Straßenschildern und Werbung, von leuchtenden und bunten Schriftzügen geprägt ist. Noch bevor sie sich fragen können, was die kombinierten Linien bedeuten, baumeln Holzbuchstaben über ihrem Kinderwagen …
Wenn die Wahrnehmung kritischer wird, alles hinterfragt wird, wird das Rätsel um die Schrift geradezu unwiderstehlich. Wie wird dieser besondere Erwachsenen-Code entziffert?
Es gibt nach Maria Montessori verschiedene Ansätze, schon im Vorschulalter mit dieser Faszination zu spielen und an die geschriebene Sprache heranzuführen. Für ein zweijähriges Kind kann ein Körbchen mit verwandten Gegenständen zusammengestellt werden, zum Beispiel mit Dingen, die alle auf unterschiedliche Weise Bälle darstellen. Spielerisch werden die Gegenstände mündlich benannt, was das linguistische Gedächtnis anregt. Später können die Bälle durch Bildkarten ersetzt werden, und die Dinge im Körbchen verschmelzen zu einem Begriff: Ball. Der Schritt vom vertrauten ausgesprochenen „Ball“ zum geschriebenen (kurzen!) Wort ist jetzt nur noch ein kleiner.
[D]ie geschriebene Sprache ist ein wertvolles, ja sogar unentbehrliches Mittel zur intellektuellen Erziehung, weil sie die Gedanken des Menschen fixiert und ihre Analyse und Assimilation in Büchern ermöglicht.
Maria Montessori
Auch die wichtige Rolle von Büchern soll sich früh im Alltag wiederfinden. Unsere Pädagogin Maria Montessori empfiehlt, viel vorzulesen, wobei nicht lückenloses Verständnis das Ziel sein soll, sondern vielmehr, dass das Kind gute Sprache und ausdrucksstarke Gedanken in sich aufnimmt (Montessori). Eltern sollten auch darauf achten, selbst Lesezeiten einzuplanen, während das Kind wach ist, um zu vermitteln, dass Lektüre einen Genuss darstellt.
In der Montessori-Schule geht es dann richtig los mit dem Schriftspracherwerb: Ans Niederschreiben von ganzen Geschichten arbeitet man sich langsam heran: Es darf eine Situation mit Figuren nachgespielt werden, oder eine Begebenheit wird im morgendlichen Gesprächskreis erzählt. Denn durchs Sprechen lernt man Sprache.
Die Sprachentwicklung ist ein Teil der Personalität selbst.
Maria Montessori
Der Weg zum zusammenhängenden Lesen und Schreiben wird in vielen kleinen Schritten gegangen: Zuhören ist wichtig, zusammenhängende Texte verstehen, Comics und Witzesammlungen sind als erste Lektüre ideal. Ein-Wort-Geschichten mit Bildern motivieren dazu, noch mehr Buchstaben zu lernen.
So werden wichtige Grundsteine gesetzt, um den Schriftspracherwerb für das Kind möglichst selbstverständlich zu gestalten. Spielerisch wird schon in den ersten Lebensjahren eine Kompetenz vermittelt, die im Kulturzeitalter zu den unverzichtbaren Grundfertigkeiten fürs Leben zählt.
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