Wenn Kinder sich die Welt der Buchstaben erschließen, drängt es die meisten geradezu, sich schriftlich auszudrücken.
Dank verschiedenster Montessori-Materialien und -Techniken wird das Geschichtenerzählen ganz einfach.
„Kannst du schon lesen?“ Vermutlich wird keinem Schulkind eine Frage öfter gestellt als diese. Und ja, manche Kinder können schon vor Beginn der Schule lesen oder ihren Namen schreiben. Oft wird also das Lesen vor das Schreiben gestellt und auch zuerst unterrichtet.
Aber warum? Es ist eine eher passive Tätigkeit, die sich mit Gedanken anderer beschäftigt. Kinder haben alles in sich, was sie brauchen, um direkt Schreiben zu lernen. Und dem Kind wird damit vermittelt: Deine Gedanken sind es wert, aufgeschrieben zu werden. Jemand liest deine Geschichte und versteht deine Idee, kann deiner Fantasie folgen. Das macht Freude!
Im Montessori-Unterricht werden beide Fähigkeiten zumindest gleichwertig behandelt. Denn Maria Montessori hat in ihren Kinderhäusern inklusiv gearbeitet und einen pädagogischen Meilenstein gesetzt:
[W]ir fanden heraus, dass entwicklungsverzögerte Kinder keine Regeln lernen konnten, aber sie liebten es, kleinere Aktivitäten durchzuführen. Also änderten wir die Reihenfolge und lehrten diese Kinder das Schreiben, bevor sie lesen konnten.
(aus „Maria Montessori spricht zu Eltern“)
Alle Kinder, ob eingeschränkt oder nicht, entwickeln sich unterschiedlich und haben unterschiedliche Vorlieben. „Einige Kinder schreiben genauso schnell wie sie reden, die Worte fließen fast in die Stiftspitze. Andere überlegen und grübeln, möchten sehr ausführlich schreiben und nichts auslassen. Unabhängig von ihrem Alter haben die Kinder ein individuelles Sprech- und Schreibtempo“, berichtet Katrin Zboralski in „Kreative Sprachförderung nach Maria Montessori“.
Das Feld der Schriftstellerei ist also breit – schon in der Grundschule. Das vielfältige bereitgestellten Material hilft beim Geschichtenschreiben. Man kann eine Idee mit Wortkärtchen an dem sprichwörtlichen roten Faden entlang auflegen (der roten Kordel) oder am blauen Schal, der für den Erzählfluss steht. Karten zum Fabulieren, Wörterketten und Figurenkästchen inspirieren, für Sprachspielereien sind Reimwörterkarten, das Silbendomino oder Zungenbrecher da.
Es kann auch eine vorgegebene Geschichte abgeschrieben werden (Abschreibtexte) oder ganz ohne Erzählung dahinter das Schreiben geübt werden: durch ABC-Lernmaterialien, Buchstabenmännchen, Brückenwörter, bildhafte Adjektive oder thematische Wörterkarten. Der Wortschatz wächst, wenn man auf den Wortfeldern erntet. Und für die grammatikalische Sicherheit sorgen Materialien zu Wortarten oder der Satzstruktur.
Das reine Handwerk des Schreibens darf auch nicht außer Acht gelassen werden. Mit unterschiedlichen Schreibunterlagen und -instrumenten können die Kinder im Montessori-Unterricht manchmal sogar Schreibtechniken aus anderen Kulturen ausprobieren: Wachstafel, Tontafel, Papyrus und Schreibfeder.
Was man mit dieser Fülle an Material alles anfangen kann! Eine beliebte Übung für den Anfang ist die Ein-Wort-Geschichte, bei der ein Kind meist nur ein Substantiv aufschreibt und dann etwas rundherum malt. Unsere Ina macht es lieber umgekehrt: Sie malt ein Bild und beschriftet danach fein säuberlich: Baum, Blume, Sonne, Berg und Wiese, Vögel und Würmer. Postkarten sind Ina wie vielen anderen Kindern schon lange vertraut. Deshalb beschriftet sie gerne eine. Dieser Text-Kurzform wird bestimmt bald ein Brief folgen. Der ist Ina aber noch zu lang. Was aber schon sehr gut klappt, sind die kleinen Geschichten. Und als sie einige davon geschrieben hat, bindet Ina daraus ein eigenes Buch! Die Blätter werden zusammengeheftet, ein Umschlag wird gezeichnet, ein Titel gewählt, die Seiten werden nummeriert. Als es vollbracht ist, ist Ina stolz. Ihr erstes großes Werk ist entstanden – und das mit einer Leichtigkeit, dank derer noch viele weitere folgen werden.
Die Abbildung zeigt das Nikitinmaterial "ABCWürfel:
https://www.montessori-material.de/nikitin-material/nikitin-material-n-7-abc-wuerfel_2635_7332
Autorin: Veronika Weiss