Dass Maria Montessori mit ihrer Pädagogik alle Sinne anspricht und so exzellente Lernerfolge erzielt, ist bekannt. Aber auf worauf genau gründet sie dieses Prinzip? Darum geht es im heutigen Blogartikel.
Stellen Sie beim Einparken auch das Autoradio leiser? Und schließen Sie die Augen, wenn Sie einem Musikstück besonders konzentriert lauschen wollen? Immer, wenn wir einen Sinn schärfen und damit noch deutlicher wahrnehmen wollen, versuchen wir, die anderen Sinne möglichst auszuschalten. Dass das klappt, ist durch psychologische Forschungen belegt.
Die Fokussierung auf einen Sinn verstärkt die sensorische Erfahrung. Nicht nur vom Menschen ausgehend funktioniert das, sondern auch, wenn der Gegenstand von sich aus möglichst nur eine Teil der Sinneswahrnehmung anspricht. Auch Maria Montessori war dieses Phänomen bekannt, und sie nutzte es für die Gestaltung ihrer Entwicklungsmaterialien. In „Die Entdeckung des Kindes“ schrieb sie 1909:
Jeder Gegenstand, den wir für die Sinnesausbildung benutzen wollen, hat natürlich viele verschiedene Eigenschaften wie Gewicht, Rauheit, Farbe, Form, Maße usw. Wie müssen wir also vorgehen, damit die Serie stattdessen nur eine einzige Eigenschaft herausstellt? Unter den vielen Eigenschaften des Gegenstandes ist eine einzige zu isolieren. Diese Schwierigkeit lässt sich nun durch die Serie und ihre Abstufungen überwinden: Es müssen Gegenstände vorbereitet werden, die untereinander vollkommen gleich sind, mit Ausnahme der sich ändernden Eigenschaft.
Dank dieser Idee ermöglicht es die Montessoripädagogik Kindern, abstrakte Begriffe mit Sinnesmaterialien zu erfahren: Beispielsweise wird mit den Geruchsfläschchen der Geruchssinn geschult. Der Duft von Zitronen oder Erdbeeren wird mittels einiger Tröpfchen eines ätherischen Öls in einer Holzdose verwahrt. Die Kinder öffnen diese und erschnuppern den Duft. Auf diese isolierte Art, oft mit geschlossenen Augen, erfahren sie intensiv die Geruchseigenschaften und ihren Geruchssinn. Danach werden nach der Montessori-Methode weitere Sinne einbezogen: Kleine Bilder zeigen, von welcher Frucht der Duft stammt, und so wird das Gelernte optisch gefestigt. Dazu üben die Kinder Begriffe, die im Zentrum der Aufgabe stehen und lauschen dem Klang der Bezeichnung.
Während der Arbeit mit dem Material wird stets der Ablauf der Dreistufenlektion befolgt: 1. den Begriff mit der Sache verbinden, 2. den Begriff mit Aufgaben verbinden, 3. den Begriff in den aktiven Wortschatz bringen.
Neun Materialgruppen für unterschiedliche Sinne gibt es: Dimensionen, Farben, Formen, Oberflächen- und Materialstruktur, Gewicht, Geräusche und Töne, Gerüche, Geschmacksqualitäten, Wärmequalitäten.
Das Arbeiten mit den jeweiligen Materialien erfordert immer (bei Punkt 2 der Dreistufenlektion) eine Aktion: ein Hinfühlen, Betasten, Begreifen. Während die einzelnen Elemente des Sinnesmaterials geordnet, in Formen gesetzt oder aufeinandergeschichtet werden, lernt das Kind, gewisse Bewegungen genau zu steuern. Maria Montessori beschreibt es so:
Das Kind, das unser Material benutzt hat, ändert seine Handbewegungen und erlangt Geschicklichkeit sowie Feinfühligkeit im Wahrnehmen der Sinnesreize in der Umgebung.
Im gleichen Maße wie hier die Bewegung geschult wird, kommt auch das Muskelgedächtnis zum Einsatz, das dieses neue Muster abspeichert und reproduziert; es entwickelt sich nach und nach eine Routine, die es dem Kind ermöglicht, seine oder ihre ureigenen Instinkte mit dem Körper in Einklang zu bringen.
Isolierte Sinneswahrnehmung, Memorieren und Muskelgedächtnis – das sind die Grundlagen für multisensorisches Lernen, die den Prozess des Begreifens (im wahrsten Sinne des Wortes) erleichtern. Kinder entwickeln dadurch leichter Eigeninitiative und Spaß daran, Neues zu lernen.
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